buffed-Kolumne: Ist WoW am Ende?
World of Warcraft wird spätestens seit dem Start
von The Burning Crusade regelmäßig totgesagt. Doch selten wurden in
MMO-Foren derart viele WoW-Abgesänge angestimmt wie dieser Tage.
buffed-Redakteur David Bergmann schreibt über Rettungsboote,
Twink-Sättigung und schlechtes Timing.
David Bergmanns persönliche Meinung zu "Ist WoW am Ende?"
WoW: Cataclysm ist eine mittelschwere Katastrophe, Blizzards
MMO-Luxuskreuzer World of Warcraft steuert unrettbar auf einen Eisberg
aus Server-Schließungen zu, die Abo-Passagiere flüchten in Scharen auf
die zu Hilfe eilenden SS Rift und MS HdRO. Ganz Hartgesottene halten
noch aus und warten auf die Rettungshubschrauber GW 2 oder SW: TOR.
Diesen Eindruck zumindest kann man bekommen, liest man derzeit durch
WoW-Foren, MMO-Blogs oder Fansites. Freilich ist es spätestens seit der
Veröffentlichung von The Burning Crusade modern, den WoW-Untergang zu
prophezeien - doch selten zuvor wurden derart viele "das Ende ist
nah"-Pappschilder durch die Community getragen. Warum also gerade jetzt?
Warum mit Cataclysm, der Erweiterung, die alles ändern sollte? Meiner
Meinung nach müsste die Frage ja eigentlich lauten: Warum nicht?
Todesschwingen-Kataklysmus und Azeroth-Quest-Spaß-Einspritzung hin oder
her - World of Warcraft hat mittlerweile sechs Jahre auf dem MMO-Buckel.
Erwartete denn ernsthaft jemand, WoW würde nicht irgendwann an Spannung
verlieren, würde zumindest einem Teil der Spielerschaft nicht früher
oder später zu fad werden? Das auf ewig unterhaltsame Spiel - ein
frommer Wunsch, gerade in Bezug auf Online-Rollenspiele, die nun einmal
von sich stetig wiederholenden Aufgaben leben. Selbst das tollste Spiel
wird irgendwann einmal dröge, das ist der ganz normale Lauf der Dinge. Liegt die scheinbare Negativ-Stimmung also ausschließlich am Alter von
WoW, ist Cataclysm die makellose Super-Duper-Erweiterung? Keinesfalls.
WoW: Cataclysm ist meiner Meinung nach vor allem ein Opfer unglücklichen
Timings. Denn im Herzen ist die dritte WoW-Erweiterung ein Geschenk für
Neueinsteiger und für die Twinker Azeroths. Die Level-Phase für
hochstufige Spieler ist im Rekordtempo vorbei, der Endgame-Grind wurde
im Vergleich zu WotLK, The Burning Crusade und erst recht Classic WoW
deutlich zurückgeschraubt. Das ist auch in Ordnung gemessen an der Flut
an neuen Inhalten für den Level-Bereich 1 bis 60. Allein, Cataclysm
erschien ein Jahr nach dem letzten großen Inhalts-Update für Wrath of
the Lich King. Wer nicht bereits vorher dem Twink-Fieber verfallen war,
der levelte spätestens in dieser Dürre-Periode einen oder mehrere
Charaktere durch Kalimdor und Östliche Königreiche. Ein nicht
unbedeutender Teil der WoW-Spieler dürfte des Twinkens also ziemlich
überdrüssig sein und sich gerade auf mehr Spaß für den Hauptcharakter
gefreut haben. Ein Wunsch, den Cataclysm nur bedingt erfüllen kann. Auch
wenn die kommenden Patches das hoffentlich wettmachen, Cataclysm selbst
hat die Erwartungen vieler Endgame-Spieler bitterlich enttäuscht. Das
macht aber weder WoW zu einem miserablen Spiel noch macht es Cataclysm
zum Totalausfall. Es zeigt lediglich noch einmal, wie dürftig die
Patch-Planung für Wrath of the Lich King war. Aber das war uns doch
eigentlich schon mit Erscheinen des Floposseums der Kreuzfahrer klar. Zudem scheitert World of Warcraft seit WotLK schlichtweg an seiner
eigenen Popularität. Zu kaum einem anderen MMO wurde so viel
geschrieben, so viel nachgefragt, so viel erklärt, so viel gespoilert.
Kein anderes MMO ist außerhalb des Spiels derart präsent. Viele Spieler
sind abgeklärt, routiniert, könnten die umgeschmiedeten Attribute ihres
Charakters im Schlaf aufzählen und üben am Mittagstisch in der
Firmenkantine mit Currywurst und Fritten die Raid-Aufstellung für den
abendlichen Raid. Eine solche Spielerschaft lässt sich in einem sechs
Jahre alten Spiel nicht mehr gänzlich überraschen. Instanzen sind
flotter durchgespielt und halten nicht mehr so lange vor wie früher. Und
das liegt nicht daran, dass das Dungeon-Design zu Zeiten des
Geschmolzenen Kerns so viel besser gewesen wäre als heutzutage. Ganz im
Gegenteil. Wir hatten damals nur keine Ahnung, was wir da eigentlich
taten. Oder hätten tun sollen. Und das war auch gut so. Noob zu sein,
eine komplette Welt und ein komplettes Spiel mit allen seinen Mechaniken
neu zu entdecken - das macht doch einen großen Teil des Reizes an MMOs
aus. Viele Spieler vermissen meiner Einschätzung nach weniger die tollen
Inhalte von Classic - die man sich aus heutiger Sicht zu großen Teilen
einfach nicht zurückwünschen kann. Vermisst wird vor allem das Gefühl
des Neuen, des Unentdeckten. Das Fehlermachen. Das Dazulernen. Nicht
ohne Grund erleben neue MMOs gerade in der Anfangszeit so einen Boom.
Nur lässt sich dieses Frische-Gefühl in einem sechs Jahre alten MMO
nicht mehr herbeizaubern, außer vielleicht durch ein komplettes
Umkrempeln des Spiels. Das erscheint zum einen wenig sinnvoll, zum
anderen beweisen die einschneidenden Klassen-Änderungen für Cataclysm,
wie die Spielergemeinde zu solchen Ideen steht. Dass derzeit immer
wieder davon berichtet wird, dass gerade Veteranen der ersten
Server-Stunden dem Spiel allmählich den Rücken kehren sollen, ist für
mich deshalb keineswegs überraschend, sondern absolut natürlich und zu
erwarten. Nur gibt es neben der Generation der WoW-Urgesteine auch noch
Millionen anderer Spieler, die erst später einstiegen. Ist WoW dem
baldigen Untergang geweiht? Ich glaube nicht. Hat WoW seinen Höhepunkt
hinter sich? Ich glaube ja. Neue Abonnenten-Höhenflüge dürften Blizzard
nicht mehr ins Haus stehen, Grund zur Sorge besteht für die Kalifornier
dennoch nicht. Prophezeiungen, WoW hätte noch eine Lebenszeit von
maximal einer Erweiterung, halte ich für überzogen und erinnere an das
zwölf Jahre alte Everquest, das noch immer gespielt wird. Oder an
Everquest 2, das sich gegenüber WoW geschlagen geben musste und für das
kürzlich die zehnte Erweiterung erschien. Kein MMO hatte jemals
Nutzerzahlen in WoW-Größenordnung zu verzeichnen, auch WoW würde ein
deutlicher Nutzerschwund nicht direkt das Genick brechen. Und ob es
diesen Nutzerschwund derzeit überhaupt gibt, wissen lediglich die
Verantwortlichen bei Blizzard. Unsere Meldung zur Ankündigung der Rückkehr von Zul'Gurub und Zul'Aman mit Patch 4.1
zeigt anschaulich, wie weit lautstarke Äußerungen und tatsächliche
Meinung mitunter auseinander driften. Während die Kommentare den
Eindruck aufkommen lassen, eine derartige Neuauflage alter Instanzen
wäre die schlechteste Idee seit dem Bescheißen bei Doktorarbeiten,
zeigen sich über 60 Prozent der Teilnehmer des Quickpolls begeistert. Freilich
ist lautstarke Schadenfreude beim vermeintlichen Niedergang eines
Riesen wie WoW besonders groß und genüsslich. Eine nicht repräsentative
Umfrage unter Vielspieler-Mitgliedern und Classic-Spielern meiner Gilde
ergab jedoch, dass kein einziger Cataclysm als Enttäuschung empfindet.
Im Gegenteil, viele haben so viel Spaß mit WoW wie seit dem Launch vor
sechs Jahren nicht mehr. Vergleichbare Meinungen finden sich auch immer
wieder in Foren oder Kommentaren, nur gehen sie im Flame-Getöse oftmals
unter. World of Warcraft macht immer noch vielen Azeroth-Fans Spaß. Und
so lange das der Fall ist, gönnen wir es ihnen doch einfach, ohne zu
versuchen, ihnen das Spiel madig zu reden. Ebenso allerdings müssen
WoW-Spieler nicht jedem virtuell die Augen auskratzen, der WoW den
Rücken zukehrt. Seien wir doch einfach allesamt froh über jeden, der dem
Hobby MMO erhalten bleibt und nicht in Farmville zum
Vollzeit-Kartoffelbauer und Trecker-Fahrer umschult. Quelle: Buffed
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